Ferdinand Sauerbruch
Einer der bedeutendsten Chirurgen des 20. Jahrhunderts trat im April 1901 seine erste Stelle am Diakonissen-Krankenhaus im Vorderen Westen an, gab diese aber bereits im August des gleichen Jahres wieder auf. Der leitende Arzt Dr. Karl Rockwitz, bei dem sich Sauerbruch auf ein Inserat hin erfolgreich beworben hatte, stellte ihm ein wohlwollendes Zeugnis aus:
,,Kassel, den 25. 08. 1901
Der Approb. Arzt Herr Ernst Ferdinand Sauerbruch war von Anfang April bis Anfang August 1901 als Assistenzarzt des Hessischen Diakonissenhauses dahier angestellt.
Während dieser Zeit hatte derselbe anerkennenswerten Eifer, Zuverlässigkeit und Sorgfalt bei der Behandlung der Kranken sowie ein vorzügliches wissenschaftliches Interesse bewiesen, welches, unterstützt durch tüchtige klinische und anatomisch physiologische Kenntnisse, seine Arbeit anregend und fruchtbringend gestaltete.
Besonders gewandt ist er in chemischen und bakteriologischen Untersuchungen und auch bei selbstständigen chirurgischen Eingriffen hat er Gelegenheit gehabt und dabei Geschick und Umsicht bewiesen.
Er lässt sich leiten von einer durchaus idealen Auffassung der ärztlichen Berufsarbeit und hat für die Kranken ein warmes Herz.
So hat sich Herr Sauerbruch in seiner jetzigen Stellung vollkommen bewährt und sich mir persönlich als tüchtiger, schätzenswerter und liebenswürdiger Kollege erwiesen.
Ich bedaure, dass er seine Stelle äußerer Umstände halber schon nach kurzer Zeit verlässt und trage keine Bedenken, ihn angelegentlichts zu empfehlen.
gez. Dr. Rockwitz
Dirigierender Arzt des Hess. Diakonissenhauses“
Die „äußeren Umstände“, die den jungen Assistenzarzt dazu brachten, das Kasseler Krankenhaus so schnell wieder zu verlassen, beschrieb Dr. Rockwitz nicht. Ausführlich werden sie aber in seinen Lebenserinnerungen geschildert, die allerdings von dem Journalisten Hans Rudolf Berndorff als Ghostwriter verfasst wurden und nicht in allem als authentisch gelten können.
Der 1975 in Barmen geborene Ferdinand Sauerbruch hatte nach Volksschule, Gymnasium und Abitur an verschiedenen Universitäten zunächst Naturwissenschaften und dann Medizin studiert und war in Marburg als Arzt promoviert worden. Im Kasseler Diakonissenhaus stießen aber danach wissenschaftliches Denken und ärztliches Ethos auf einen religiösen „Fundamentalismus“, der Krankheit als Ausdruck göttlichen Willens begriff und kirchlichen Verpflichtungen im Zweifelsfall den Vorrang vor medizinischer Hilfe gab – folgt man den detaillierten Schilderungen in seinen Lebenserinnerungen.
In Kassel fand er sich „in einer wunderlichen Umgebung. Es war die Oberschwester, die das Haus beherrschte. Eine Oberschwester, die ihr ganzes Leben der Religion verschrieben hatte. Und zu allem Überfluss, sie duzte mich“, heißt es in Sauerbruchs ‚Autobiografie‘, in der zwei für ihn – und uns heute – unglaubliche Vorfälle detailliert geschildert werden.
So konnte er an einem Sonntagvormittag während des Gottesdienstes einen Mann, der vor dem Krankenhaus offenbar mit Schlaganfall zusammengebrochenen war, nur mit Hilfe des „Faktotums des Krankenhauses“ heimlich in einem Sack in den Keller schmuggeln und dort in einer Rumpelkammer ärztlich versorgen. Sein Helfer hatte ihm erklärt, dass am Sonntag niemand im Krankenhaus aufgenommen werde, und die Oberschwester ihm dies so begründet: „Der Mann wird heute, am Sonntag, nicht aufgenommen, wenn er am Sonntagvormittag auf freiem Platze hinfällt, dann hat Gott ihn hinfallen lassen, ihn von dort wegzuschaffen, ist schon Sünde, ihn dann auch noch in unser christliches Krankenhaus zu bringen, und sei es auch nur in die Rumpelkammer, ist schwerer Frevel. Ich werde mich über dich beschweren, das wirst das nicht noch einmal tun, mit deiner heidnischen Haltung gehörst du überhaupt nicht in unser christliches Haus, ich rate dir gut, suche dir eine andere Stellung." Wiederum an einem Sonntag gelang es Sauerbruch nur mit Hilfe des Pfarrers, Schwestern aus dem beginnenden Gottesdienst zu holen, um ihm bei einer lebensrettenden Operation zu assistieren. Es war seine erste .
Wegen dieser beiden Vorfälle kam es zu seiner Überraschung zu einer Vernehmung bei der Kriminalpolizei wegen ,,mutwilliger Störung eines Gottesdienstes“. Weitere Schritte konnte Sauerbruch mit Hilfe des Regierungspräsidenten abwehren, der ihm bescheinigte, sich „großartig“ verhalten zu haben, ihm aber riet: „Machen Sie, dass sie wegkommen!“
Das Konsistorium des Krankenhauses nahm eine Entschuldigung Sauerbruchs, die er auf den Rat von Dr. Rockwitz, aber gegen seine Überzeugung ausgesprochen hatte nicht an. „Ich flog“, heißt es lapidar in den Erinnerungen. Dr. Rockwitz beschäftigte ihn zunächst ein Zeit lang in seiner Privatpraxis und besorgte ihm dann eine Assistenzarztstelle an der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses in Erfurt, was er als entscheidende Weichenstellung in seiner Karriere sah: „Damit wurde mein Werdegang wohl endgültig festgelegt: ich wurde Chirurg.“
Über den weiteren Lebensweg des Chirurgen gibt unter anderem das Deutsche Historische Museum Auskunft.
Quellen:
Ferdinand Sauerbruch, Das war mein Leben, Bad Wörishofen, 1951
StadtA KS A 3.33/2, Meldekarte Ferdinand Sauerbruch