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Der "Judenstern"

Beate Rosenbach, die mit ihrer Schwester, Eltern und Großvater von April 1940 bis zur Deportation im Dezember 1941 in der Admiral-Scheer-Straße 13 (vormals Kaiserstraße, heute Goethestraße) lebte, erinnerte sich nach dem Krieg an ein besonders „schreckliches Erlebnis“ im Sommer 1941. Damals war sie 15 Jahre alt. In ihren Entschädigungsakten heißt es: „Es sei ein schwerer Luftangriff auf Kassel erfolgt und alle anderen hätten in die Luftschutzkeller gehen können, nur sie als Juden hätten diesen Luftschutzkeller nicht betreten dürfen. Etwa ab Sommer 1941 hätten sie dann auch den Judenstern tragen müssen. Das sei für sie besonders quälend gewesen. Die Kinder, welche sie von früher kannte, hätten sie angepöbelt und gesagt, sie hätten nie geglaubt, dass sie ein Judenkind sei.“

Seit dem 1. September galt für die jüdischen Bewohner des Vorderen Westens die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden, die sie zwang, den „Judenstern“ zu tragen. Ihre Umsetzung erfolgte seit dem 19. September. Victor Klemperer notierte in seinem „LTI – Notizbuch eines Philologen“: „Von da an war der Judenstern zu tragen, der sechszackige Davidsstern, der Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck: ‚Jude‘, das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort aus dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen.“

Was die Kennzeichnung mit dem gelben Stern bedeuten konnte, schilderte der um Kassel hochverdiente Arzt Felix Blumenfeld in seinem Abschiedsbrief an seine Kinder vor seinem Freitod im Januar 1942:

„Gestern Abend stand ich gegen ½ 6 Uhr an der Bordschwelle vor dem Bankhaus Wertheim am Königsplatz, um nach der Trambahn Ausschau zu halten. Da kam ein jüngerer Mann auf mich zu, dessen anständiges Außenkleid die innere Frechheit und Gemeinheit nicht vermuten ließ, an dessen Ausdrucksweise man aber den Sendboten der Gestapo erkennen konnte. Er schnauzte mich an ( durch den gelben Stern ist man ja sichtbar gemacht ). „Was stehst Du da? Mach Dich sofort runter vom Trottoir, Du Schwein!“ Als ich ihn ganz erschrocken ansah, sagte er: „ Ja, Du bist gemeint, guck nicht so frech und mach, daß Du weiterkommst.“ Kopfschüttelnd ging ich weiter und hörte nicht mehr, was er nachrief. Nur da ist niemand da, dessen gerechtes, menschliches Empfinden stärker wäre als die Angst, mag es sich dabei auch um einen Mann handeln, dessen Schaffen sich auch heute noch segensreich auswirkt und aus der Volkswohlfahrt nicht wegzudenken ist, und auf der anderen Seite ein Mann, dessen „Verdienst“ sich im Quälen und Bespucken unschuldiger Menschen erschöpfen. Aber der Meister und Führer läßt es zu!“

Wie die Erinnerungen von Beate Rosenbach und der Brief von Felix Blumenfeld deutlich machen, war der Zwang zum Tragen des Judensterns ein neuer Höhepunkt sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung. Er diente auch als Vorbereitung auf die nun einsetzenden Deportationen deutscher Juden aus dem Reich. Der Entschädigungsbürokratie der Nachkriegszeit galt der 19. September 1941 als Beginn des Freiheitsentzugs.

Im Kasseler Stadtmuseum gibt es den „Judenstern“ von David Sokolski. Der aus Russland stammende, mit einer Deutschen verheiratete ehemalige Kriegsgefangene des Ersten Weltkrieges hatte im Lager Wartekuppe (Niederzwehren) überlebt. Nur von zwei Kasseler Juden, den damals jugendlichen Brüdern Golnik, die das Ghetto Riga überlebten, sind Fotos überliefert, die sie mit der diskriminierenden Kennzeichnung zeigen.

Quellen und Literatur

HHStAW Best. 518 (Entschädigungsakten Beate und Ruth Rosenbach)

Victor Klemperer, LTI – Notizbuch eines Philologen. Berlin, 1947

Abschiedsbrief vin Felix Blumenfeld (Archiv von Stolpersteine in Kassel e. V.)

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben und seiner Zerstörung im Vorderen Westen, in Kassel und der Region, Kassel 2014 (darin auch ein Kapitel über die aus Hoof vertriebene Familie Rosenbach)