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Das Ende einer Beamtenlaufbahn: Dr. Max Grünbaum

Die Familie des Regierungsrates Dr. Max Grünbaum lebte von 1929 bis 1933 in der Kaiserstraße 13 (Goethestraße).

Der Jurist in der Finanzverwaltung war einer der ganz wenigen jüdischen Beamten der Stadt. Zwar waren Juden bei Medizinern und Juristen in Kassel wie auch ganz allgemein in großen Städten überrepräsentiert, aber niemand von ihnen war als Richter oder Staatsanwalt tätig und nur eine sehr geringe Anzahl als Jurist im Staatsdienst. Dazu gehörte als prominentester der bei der Rechten verhasste sozialdemokratische Polizeipräsident Dr. Adolf Hohenstein, der bereits 1932 entlassen wurde, nachdem er jahrelang entschlossen gegen Roland Freisler und die NS-Bewegung gekämpft hatte. Dazu gehörte auch der Oberregierungsrat bei der Reichsbahn Siegfried Fraenkel, der mit seiner Ehefrau von 1917 bis 1932 und zwangsweise wieder von 1939 bis 1942 im gleichen Haus wie die Familie Grünbaum lebte.

Als Sohn des Kaufmanns Heinrich Grünbaum 1888 in Kassel geboren, hatte Max Grünbaum seit 1898 das Kgl. Wilhelmsgymnasium besucht und dort 1907 das Abitur bestanden. Nach dem Studium in München, Genf, Berlin und Marburg legte er 1910 die erste juristische Staatsprüfung in Kassel ab und wurde zum Referendar ernannt. In seiner Dissertation an der Juristischen Fakultät Marburg 1914 schrieb er im Lebenslauf: „Als Referendar war ich zuletzt am Kgl. Amtsgericht in Cassel beschäftigt. Die Mobilmachung 1914 fand mich beim Husarenregiment Nr. 14 wieder, woselbst ich 1911 meiner Militärpflicht genügt und im Jahre 1913 zwei achtwöchige Übungen geleistet habe.“ Nach Kriegsende legte er das Assessorexamen ab und fand eine Einstellung in der Finanzverwaltung. 1922 lernte er seine spätere Frau Margarete Daniel aus Berlin kennen und heiratete sie noch im gleichen Jahr. Sie wohnten zunächst in der Opernstraße, wo die beiden Kinder Erika (1924) und Heinrich Alfred (1926) geboren wurden, ehe die Familie 1929 in die Kaiserstraße zog, wo ihr Haushalt durch ein Hausmädchen unterstützt wurde. Im Oktober 1933 erfolgte ein Umzug in die Hupfeldstraße.

Vor 1933 schienen die berufliche Karriere des Juristen und das Leben der Familie weitgehend unbeeinflusst vom Antisemitismus. Allerdings könnte eine vorzeitige Beförderung des Finanzbeamten an seiner jüdischen Religionszugehörigkeit gescheitert sein. Als „Frontkämpfer“ blieb Max Grünbaum zunächst von den Auswirkungen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 verschont, gemäß dem Juden aus dem Staatsdienst entlassen werden konnten. Dort hieß es in § 3: „(1) Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand (§§ 8 ff.) zu versetzen; soweit es sich um Ehrenbeamte handelt, sind sie aus dem Amtsverhältnis zu entlassen. (2) Abs. 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“ Vom alltäglichen Antisemitismus blieben aber weder der Jurist noch seine Familie verschont. Nach Wolfgang Hermsdorff begleitete der Leiter der Bauverwaltung des Oberfinanzpräsidiums Karl Dupont „den mit ihm arbeitenden Oberregierungsrat Grünbaum (…) täglich zum und vom Dienst, um ihm notfalls beizustehen“. Die Kinder wurden an ihren Schulen mehr und mehr isoliert.

Die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 beendeten die ‚Schonfrist‘ für „Frontkämpfer“. Das Reichsbürgergesetz vom 15. September machte Juden zu Staatsangehörigen minderen Rechts, die nicht mehr „Reichsbürger“ sein konnten, denen allein die „vollen politischen Rechte“ zustanden. Eine erste Verordnung vom November 1935 bestimmte, dass nur ein Reichsbürger „ein öffentliches Amt bekleiden“ kann. Nun entließ man auch jüdische „Frontkämpfer“ aus dem Staatsdienst, mit Ablauf des Jahres Max Grünbaum. In seiner Entlassungsurkunde hieß es lapidar: „Der Regierungsrat Dr. Max Grünbaum tritt (…) mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand.“

Dieser setzte seine Arbeitskraft nun für die jüdische Gemeinde ein und war seit 1936 im Vorsteheramt der israelitischen Gemeinde als Schriftführer tätig, bis die Familie 1937 nach Berlin übersiedelte.

Für diesen Entschluss war offenbar weniger das berufliche Ende des Vaters ausschlaggebend. Vielmehr sollten den Kindern, deren Situation  an höheren Schulen untragbar geworden war, in Berlin Bildungsmöglichkeiten im jüdischen Bildungssystem eröffnet werden, zu dem auch höhere Schulen gehörten. Von Berlin aus ließ sich auch leichter nach einer Auswanderungsmöglichkeit suchen.

Die Bemühungen der Familie auszuwandern waren erfolgreich, allerdings im Mai 1939 mit ihrer Trennung verbunden. Die Tochter Erika gehörte – wie Dorrith Sim - zu den über 10.000 Kindern, die im Rahmen der Kindertransporte (Refugee Children Movement) ohne ihre Eltern ins Ausland gelangen konnten. Eltern und Bruder hatten das Glück, dass sie im Juni 1939 nach Chile auswandern konnten. Nach Kriegsende gelang es Erika Grünbaum gleichfalls dorthin zu kommen. Die Familie war wieder vereinigt. Ihre Mutter erinnerte sich 1985: „Mein Mann starb im Alter von 67 Jahren. Er war zeitig herzleidend geworden, wahrscheinlich verursacht durch die Auswanderung, die große Umstellung und die Überarbeitung und Sorgen, ein neues Leben aufbauen zu müssen. In Chile waren wir zwar wieder freie Menschen, hatten aber am Anfang finanziell schwer zu kämpfen. Ich arbeitete zuerst als Hausschneiderin, und mein Mann war als Hilfsbuchhalter beschäftigt, bis er dann Syndikus der Deutsch-Jüdischen Gemeinde in Santiago wurde.“ Mutter, Kinder und Enkelkinder emigrierten 1971 nach Israel, als 1970 der Sozialist Salvador Allende die Präsidentschaft in Chile übernommen hatte.

Quellen und Literatur

HHStAW Best. 518: Entschädigungsakte Grünbaum

Briefe von Erika Werner und Margaret Grünbaum an den Verf.

Wolfgang Hermsdorff, Ein Blick zurück Nr. 1289 (HNA)

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13, Kassel 2014, S. 69ff.

Wolfgang Matthäus