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Zuflucht am katholischen Lyzeum - Judith Weissenberg

Judith Weissenberg (geb. Ucko) lebte bis 1934/35 in der Parkstraße 38, bis zur Auswanderung ihrer Familie in der Uhlandstraße.

Die Schülerin der Engelsburg Martina Doppelhammer ging 1991/92 auf die Suche nach ehemaligen jüdischen Schülerinnen  ihrer Schule. In Johannesburg (Südafrika) fand sie Judith Weissenberg, die am 26.12.1922 in Friedberg als Tochter von Friederike und Fritz Ucko geboren wurde. Ihr Vater, einer der ganz wenigen jüdischen Beamten in Kassel, war später als Baurat bei der Reichsbahn angestellt. In der Parkstraße 38 lebte die Familie, zu der auch die älteren Geschwister von Judith, Erasmus und Denise, gehörten, in einer komfortablen 6-Zimmer-Wohnung.

Aus dem Briefwechsel zwischen Martina Doppelhammer und Judith Weissenberg wird deren Schicksal deutlich. Wie ihre ältere Schwester wollten die Eltern sie 1933 nach der Grundschulzeit auf das Oberlyzeum am Ständeplätz schicken, wo sie offenbar keine Aufnahme mehr fand.  Zuflucht wurde für sie das katholische Lyzeum (Engelsburg), das in der NS-Zeit sein Prinzip durchbrach, nur katholische Schülerinnen aufzunehmen. Judith Weissenberg  erinnerte sich 1992:

„Das erste Jahr in der ‚Engelsburg‘ war fein. Ich glaube, es fing im zweiten Jahr an, als die Nazis die Jugendführer in die Schulen geschickt und giftige Propagandareden geschwungen hatten, die ich mir auch mit anhören musste. Dieser ganze Zustand hat sehr mein Lernen beeinflusst, ich glaube, ich konnte mich nicht mehr recht konzentrieren. Neulich habe ich mal in meinem Tagebuch rumgeblättert und habe einen Satz entdeckt, den ich gerade um diese Zeit geschrieben hatte: ‚Ich bin so allein, niemand spricht mit mir.‘ Eine Schulbildung musste ich haben, so musste ich dulden.“ Eine Schulfreundin hatte Judith Weissenberg nach ihren Aussagen nie.

Sie erinnert sich auch daran, dass in jedem Klassenzimmer ein Bild des Führers hängen musste und die Stunde mit dem Hitlergruß begann, dem an der Engelsburg allerdings ein Gebet folgte. Vom katholischen Religionsunterricht war sie befreit, zweimal in der Woche besuchte sie nachmittags die jüdische Schule.

Die Beamtenkarriere ihres Vaters Fritz Ucko endete 1934 mit einer erzwungenen Versetzung in den Ruhestand, ein Umzug in eine kleinere Wohnung in der Uhlandstraße war eine Folge. Judiths Schulkarriere wurde spätestens 1937 durch ein staatliches Verbot, weiterhin jüdische Kinder zu unterrichten, ebenso beendet.

Der ältere Bruder Erasmus und die Schwester Denise emigrierten bereits 1935/36 nach Südafrika, den Eltern und Judith gelang es 1939, nachdem Fritz Ucko bei den Novemberpogromen inhaftiert worden war, unter großen Schwierigkeiten ihnen dorthin zu folgen. Für die Familie wurde es zum Kampf, den Lebensunterhalt zu verdienen. „Die Familie aus Kassel, die kein Englisch sprach, musste sich eine neue Existenz aufbauen. Der Vater hatte zwei Dinge aus Deutschland mitgebracht: seinen Lebensmut und seinen Werkzeugkoffer. ‚Mein Vater reparierte alles, vom Schuh bis zum wackeligen Stuhl, er war ja schließlich Ingenieur‘, erzählt Judith und bezaubert ihre Zuhörer dabei mit ihrem mädchenhaften Charme. ‚Herr Ucko kann alles‘, hieß es bald. Entsprechend gefragt waren seine Dienste. Auch Judiths späterer Mann Walter, ein Jurist aus Berlin, musste in Südafrika sein Leben umkrempeln und sich seinen Unterhalt als Händler verdienen.“  (C. Hein, HNA)

Judith Ucko heiratete 1956 den aus Berlin stammenden Walter Weissenberg und lebt heute (2015) in einem Altersheim in Johannesburg. In Kassel war sie zuletzt 2010 zu Besuch.

Quellen / Literatur / Links

Martina Doppelhammer, Judith Ucko – eine jüdische Schülerin, in: Engelsburg Kassel 1892-1992, hg. von Schw. M. Ignatia Langela und Dr. Jürgen Vaupel, Kassel 1992

HNA

Wolfgang Matthäus