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Alexander Fiorino

Wohnte von 1926 bis 1940 im eigenen Haus in der Kaiserstraße 13 (Goethestraße)

Der Bankier, Kunstsammler, Mäzen und vielfältig sozial und kulturell engagierte Alexander Fiorino war eine über soziale oder religiöse Grenzen hinaus allseits bekannte und geachtete Persönlichkeit in der städtischen Gesellschaft.

Er hatte den sozialen Aufstieg einer seit dem 18. Jahrhundert alteingesessenen jüdischen Familie fortgesetzt. Sein Großvater war am Ende dieses Jahrhunderts von Göttingen nach Kassel gekommen, noch in der Zeit des Schutzrechts, das Juden unter Sonderrecht stellte, ihnen die Gleichberechtigung verwehrte – vor allem den Zugang zu Berufen außerhalb des Handelssektors und die gleichberechtigte Anerkennung ihrer Religion.

Alexander Fiorinos Vater David Alexander Fiorino hatte die schrittweise erfolgende Emanzipation der Juden in Kurhessen genutzt, nachdem deren uneingeschränkte Gleichstellung im Königreich Westphalen wieder zurückgenommen worden war. Er war der Aufforderung an die Juden, sich bürgerlich zu verbessern, nachgekommen. Als „Mechanicus und Opticus“ mit eigenem Geschäft war er allerdings nicht nur Handwerker sondern – wie ein Bruder auch – Erfinder. Von den beiden entwickelte Geräte sind heute im Museum und der Ausstellung in der Orangerie.

Er schickte seinen 1842 geborenen Sohn einige Jahre auf ein liberal ausgerichtetes jüdisches Internat, danach in eine kaufmännische Ausbildung in Frankfurt und auch für längere Zeit nach England.

Nach seiner Heirat mit Henriette Lieberg ließ sich Alexander Fiorino in seiner Heimatstadt als Kaufmann nieder und war auch als Generalagent der Hamburg-Bremer-Generalversicherungsgesellschaft tätig, ehe er 1885 zusammen mit Gustav Sichel das Bankhaus Fiorino & Sichel gründete. In dessen Leitung war er noch mit über 80 Jahren tätig, bis er sich 1926 nach dem Tod seiner Frau daraus zurückzog, das Haus Kaiserstraße 13 (Goethestraße) kaufte, von der Rosenstraße dorthin mit Dienstmädchen und Hausdame umzog, um seinen Lebensabend im Hohenzollernviertel zu verbringen. 1931 erlebte er, wie sein Bankhaus mit seinen auch internationalen Geschäftsbeziehungen im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der Bankenkrise in Liquidation gehen musste.

Fiorino war im gehobenen Bürgertum der Stadt und im Wirtschaftsleben etabliert, hatte den gesellschaftlichen Aufstieg seiner Familie fortgesetzt. Aber es waren nicht so sehr sein Beruf und seine Karriere, die ihn zu einer bedeutenden Persönlichkeit der städtischen Gesellschaft werden ließen, sondern seine zahlreichen, kaum erschöpfend aufzuzählenden Tätigkeiten im Dienste dieser Gesellschaft, sein Mäzenatentum, sein Interesse für Geschichte und Kunst. All das war getragen vom Gedanken der Humanität, den er vertrat und auch lebte. Das Lob der Zeitgenossen bei seinem 80. Geburtstag 1922 war überschwänglich. Fiorinos Biografie war in herausragender Weise über den eigenen beruflichen Erfolg hinaus von philanthropischen und sozialen Motiven zum Wohl der Allgemeinheit geprägt und auch von bildungsbürgerlichem Engagement – nicht untypisch für das Kasseler jüdische Bürgertum. Bei seinem 80. Geburtstag betonten Redner immer wieder auch seine Liebe zur Heimatstadt, zu Kurhessen und zum Vaterland. Er selbst formulierte seine Wünsche für die Zukunft 1922 so: Vier Zöglinge des Israelitischen Waisenhauses seien im „Weltkriege auf dem Felde der Ehre gefallen. Möge ihr Blut nicht umsonst geflossen sein, und wenn er selbst auch nicht, so möchten spätere Generationen das Wiederaufleben unseres niedergeworfenen deutschen Vaterlandes erleben, das einst wie ein Phönix aus der Asche erstehen werde.“

Über 60 Jahre war Alexander Fiorino dem Verein „Humanität“  verbunden, der die berufliche Umschichtung der Juden zum Ziel hatte. Fiorino sorgte vor allem dafür, dass insbesondere armen Juden und Waisenkindern Hilfe zukam. Seit 1933 musste der inzwischen über 90-Jährige erleben, wie es nur noch um die Qualifizierung dafür ging, eine Aufenthaltsgenehmigung im Ausland zu erhalten.

Nach 1933 musste er auch erleben, wie Mieter seines Hauses Deutschland verließen, weil es als Juden für sie keine Perspektive in der Heimat mehr gab. Am Ende der 30er Jahre bevölkerte sich sein Haus immer mehr mit Juden aus Kassel und der Region, die dort zwangseingewiesen, aus ihren bisherigen Wohnungen vertrieben worden waren.

Als „Privatmann“ lebte Fiorino im Ruhestand von Kapitalerträgen aus seinem Eigentum, die aber im Laufe der Zeit die Ausgaben des Pflegebedürftigen nicht mehr decken konnten. Anfang 1939 war er gezwungen, Wertpapiere und auch sein Haus zu verkaufen. Über den Erlös aus dem Hausverkauf konnte er allerdings eben so wenig selbst verfügen wie über seine umfangreiche Kunstsammlung, die den staatlichen Museen in Kassel als die beste der Stadt galt. Als Pfand für die Entrichtung der nach dem Novemberpogrom den Juden auferlegten „Judenvermögensabgabe“ beraubte der Staat Fiorino dieser Sammlung. Von ihr kamen umfangreiche Stücke an die Staatlichen Kunstsammlungen, die Fiorinos Sammlung Jahrzehnte später eine eigene Ausstellung widmen sollten.

Alexander Fiorino starb am 1. Mai 1940 im Alter von fast 98 Jahren in seiner Wohnung in der Kaiserstraße 13. Deportation und Ermordung blieben ihm erspart.

Literatur

Die Kasseler Sammlung Alexander Fiorino. Katalog zur Ausstellung in der Neuen Galerie 12. Juni - 11. September 1994, hg. von Ulrich Schmidt, Kassel 1994

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben und seiner Zerstörung im Vorderen Westen, Kassel und der Region, Kassel 2014

Wolfgang Prinz, Jüdische Bürger aus Kassel vor 1933, in: Fremde im eigenen Land, hg. von Helmut Burmeister und Michael Dohrs, Hofgeismar 1985