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Gegenwehr - Dr. Alfred und Dr. Theodor Dellevie

In der Kaiserstraße 31 (Goethestraße) wohnte von 1929 bis 1936 auch der bekannte Rechtsanwalt und Notar Dr. Theodor Dellevie. Als Kasseler Vorsitzender des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ unterhielt er in seinem Büro in der Kölnischen Straße 4 seit der Mitte der 20er Jahre eine Abwehrstelle, die antisemitische Vorfälle in Kassel und nordhessischen Gemeinden zur Anzeige brachte. Dabei stand auf der Gegenseite unter anderem sein nationalsozialistischer Anwaltskollege Roland Freisler, den er selbst noch 1921 als Referendar ausgebildet hatte – so wie Freisler auch von anderen jüdischen Anwälten ausgebildet worden war. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten zeigte Dellevie unerschrocken Angriffe auf die jüdische Bevölkerung auch weiterhin an, obwohl es jüdischen Anwälten schon kurz nach der „Machtergreifung“ kaum mehr möglich war, ihren „Berufsgeschäften nachzugehen“, wie Dellevie selbst bemerkte. Der Anwalt gehörte zu denen, die Gegenwehr leisteten, zum Beispiel beim Mord an Max Plaut, und galt 1933 für ausländische Journalisten als Ansprechpartner für die Lage der Juden in der Stadt. Bis mindestens 1937 dokumentierte Dellevie, der sein Notariat bereits verloren hatte, die Unrechtstaten, prangerte sie an und versuchte mit rechtlichen Mitteln dagegen vorzugehen. Darin schränkte ihn das Berufsverbot als Anwalt ein: Im Dezember 1938 strich man ihn aus der Liste der Anwälte beim Kasseler Landgericht. Als einer von ganz wenigen Anwälten konnte Dellevie allerdings noch als „Konsulent“ tätig sein, „zugelassen nur zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden“, wie es auf seinem Poststempel hieß. Mit dieser Einschränkung durfte er noch jüdische Mandanten beispielsweise gegenüber der Devisenstelle vertreten, um deren Interessen, soweit das noch möglich war, wahrzunehmen. Noch1941 gelang es ihm, beim Tod des 71-jährigen Salomon Kron im Arbeitserziehungslager Breitenau eine Sterbeurkunde und die Habseligkeiten des Verstorbenen zu erhalten, wahrscheinlich auch für dessen Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof in Kassel zu sorgen. Im gleichen Jahr, trat sein Bruder noch als Rechtsvertreter im Zusammenhang des Nachlasses von Alexander Fiorino gegenüber dem Oberfinanzpräsidium und der Staatlichen Gemäldesammlung auf. Alfred Dellevie, mit dem Theodor Dellevie lange Jahre eine gemeinsame Praxis geführt hatte, starb im gleichen Jahr, nachdem die Mutter bereits 1939 hochbetagt verstorben war. Dr. Dellevie  war einer der letzten jüdischen Bürger Kassels, die noch vor den Massendeportationen und -morden Deutschland verlassen konnten. Im Oktober 1941 - kurz vor der ersten großen Deportation aus Kassel nach Riga im November 1941 - gelangte er auf einer abenteuerlichen Flucht mit dem Ziel Kolumbien allerdings nur bis nach Kuba, wo er seiner Parkinsonkrankheit erlag und in Havanna begraben wurde.

Literatur

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben und seiner Zerstörung im Vorderen Westen, in Kassel und der Region, Kassel 2014 (Verlag Jenior)

Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933-1945, Bd. 2, Fuldabrück 1987, darin: Prinz, Wolfgang: Die Judenverfolgung in Kassel, S. 137ff.

Links

Stolperstein für Alfreds und Theodors Schwester Frieda