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"Grüne Villa" - Querallee 21

 Das Gebäude  ist ein seltenes Beispiel einer großbürgerlichen Villa vom Ende des 19. Jahrhunderts in Kassel, das sowohl  außen als auch im Inneren unzerstört geblieben ist.  Zugleich ist die Grüne Villa eines der wenigen  erhaltenen, sichtbaren Zeugnisse jüdischen Lebens in Kassel. Denn neben dem Bauherrn gehörten zu seinen Bewohnern zahlreiche  Angehörige jüdischer Familien, die für die Geschichte der Stadt von Bedeutung waren, mit mehreren anderen wichtigen Familien (wie den Hallos) verbunden waren und deren Familiengeschichten zum Teil gut dokumentiert sind. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz.

Bauherr, der 1895/96 errichteten Villa im neoklassizistischen Stil war der Kaufmann Moritz Scheyer, der u. a. bei Sigmund Aschrott unternehmerische Kenntnisse erworben hatte. Er bezog mit seiner Familie selbst 1896 eine der beiden repräsentativen, 200 qm großen Wohnungen. Nach dem Tod Moritz Scheyers (1920) und seiner Frau Milly (1926) gehörte das Haus den Söhnen Otto und Hugo sowie der Tochter Aenne, die mit dem gleichfalls jüdischen Fabrikanten Fritz Mosbacher verheiratet war. 1926 zog die Familie Mosbacher in die Querallee 21. Aenne Mosbacher, die eine international anerkannte Vertreterin einer sachlichen, modernen Fotografie war, hatte hier ihr Atelier. Wie ihre Brüder Otto, der 1922 nach Brasilien auswanderte, und Hugo, der 1937 gleichfalls dorthin emigrierte, wanderte Aenne Mosbacher mit ihrem Ehemann Fritz und dem Sohn Franz aus. In Australien konnte sie ihre Karriere als Fotografin offenbar nicht fortsetzen. Im Haus verblieb Aenne Mosbachers Schwiegermutter Clara Mosbacher. Sie entstammte der bekannten und für die Stadt wichtigen Verlegerfamilie Gotthelft (u. a. Kasseler Tageblatt). Sie wurde am 7. September 1942 im Alter von 83 Jahren mit der dritten Deportation von Kassel zunächst nach Theresienstadt und von dort nach Minsk verschleppt, wo man sie erschoss.

Seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre lebten in dem Haus – wie die Recherchen von Dietfrid Krause-Vilmar ergaben - zahlreiche Juden, darunter vorübergehend auch der letzte Landrabbiner Kassels Dr. Robert Raphael Geis, dem es - wie einigen anderen auch - noch gelang, ins Ausland zu kommen, während andere dem Völkermord zum Opfer fielen. In den Jahren 1941/42 konzentrierte man offenbar in der Villa Menschen, die in „Mischehen“ lebten, also mit einem nicht-jüdischen Ehepartner, und vor der Deportation geschützt waren.

Offenbar durch Eigentumsübertragungen an nicht-jüdische Familienmitglieder blieb das Haus im Prinzip in familiärem Besitz, wurde  wohl Anfang der 1950er Jahre veräußert und gelangte wahrscheinlich Anfang der 1970er Jahre an das Land Hessen, das hier das Staatsbauamt (später: Hessisches Baumanagement) unterbrachte. Das lange Zeit vom Baumanagement vernachlässigte Gebäude erschien dem Land nicht mehr als geeignet und wurde 2012 verkauft. In dieser Zeit kam es auch zu einer Hausbesetzung. Heute ist es – zumindest außen – saniert.

Quellen und Literatur

Stadtarchiv Kassel

Bestand S1 3972

Materialsammlung Diefrid Krause-Vilmar: Bd. 8 betr. Verfolgung der Juden in Kassel

Eva M. Schulz-Jander, Von Kassel nach Haifa. Die Geschichte des glücklichen Juden Hans Mosbacher, Kassel 2008

Weblinks

Benyamin Maoz über die Geschichte seiner jüdischen Familie Mosbacher im Nazi-Deutschland

Das Regiowiki zur Grünen Villa

HNA: Rundgang durch die Grüne Villa

Zu mehreren HNA-Artikeln im Zusammenhang mit dem Verkauf der Villa und einem offenen Brief einer Kasseler Initiative zum denkmalgerechten Erhalt des Gebäudes (u. a. Christian Presche und Dietfried Krause-Vilmar) gelangen Sie über eine Seite des Stadtbüros Friedrich-Ebert-Straße.

HNA vom 24.6.2012 zur Hausbesetzung

HNA vom 25.6.2012 zur Hausbesetzung