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Die Brüder Murhard

Friedrich Wilhelm August Murhard, politischer Publizist (1778-1853)

Johann Karl Adam Murhard, nationalökonomischer Publizist (1781-1863)

Stifter der Murhardschen Bibliothek

Lange bevor im Westen ein neuer Stadtteil entstand, lebten die Brüder Murhard zumindest zeitweise auf dem Gebiet des Stadtteils in ihrem Sommerhaus an der Wilhelmshöher Allee 62 - damals weit außerhalb der Stadt, heute gegenüber der Universität, unweit der Einmündung der Murhardstraße in die Allee. Daneben hatten sie eine Stadtwohnung am Königsplatz. Wie die beiden Nachbarhäuser wurde das Sommerhaus der Murhards im Zuge nationalsozialistischer Stadtplanung und Umgestaltung 1939 abgerissen.

Die Brüder Murhard stammten aus einer vermögenden hessischen Beamtenfamilie, ihre Vorfahren waren schon seit dem 15. Jahrhundert im Dienst der hessischen Landgrafen. Friedrich Murhard war der ältere Bruder. Er wurde am 7. Dezember 1778 in Kassel geboren, Karl am 23. Februar 1781 gleichfalls in Kassel. Beide Brüder besuchten zunächst das Lyceum Fridericianum in Kassel und studierten später in Göttingen, das damals als Ort der fortschrittlichen und freiheitlichen Geister galt. Friedrich studierte Mathematik, Philologie und Geschichte, während sich sein Bruder den Rechts- und Staatswissenschaften widmete. 1795 immatrikulierte sich Friedrich, promovierte bereits ein Jahr später und arbeitete im Anschluss daran als Privatdozent an der Universität Göttingen. Im Rahmen dieser Tätigkeit veröffentlichte er 1796-98 zahlreiche mathe­matische und naturwissenschaftliche Abhandlungen. Karl immatrikulierte sich 1797 und freundete sich im Studium mit den Lehrern des liberalen Adam Smith an. Er wechselte 1800 zum Zwecke der Promotion und Anwaltsprüfung nach Marburg. Anschließend arbeitete er bis 1806 als Archivar der Oberrentkammer in Kassel.

Beide Brüder standen in Opposition zu den Verhältnissen in Kurhessen und hegten Sympathien für Napoleon und  für Grundsätze der Französischen Revolution. Friedrichs oppositionelle Haltung gegenüber der kurhessischen Regierung wuchs nach einer Frankreichreise, nach der er im "Reichsanzeiger" die veraltete kurhessische Gerichtsverfassung kritisierte, wofür man ihn kurzzeitig verhaftete. Als das Kurfürstentum 1806 durch Napoleon aufgelöst und mit anderen Territorien zum Königreich Westphalen zusammengelegt wurde, Kurhessen Teil des ersten deutschen Verfassungsstaates war, engagiert er sich ganz stark und konnte als Bibliothekar der Landesbibliothek, Präfekt des Fulda-Departements und Redakteur des "Moniteur Westphalen" für das arbeiten, was er begeistert begrüßte. Auch Karl trat für die Überwindung des Absolutismus in Kurhessen aktiv ein, wurde 1808 Leiter einer Abteilung im Finanzministerium und als Jurist und Finanzexperte dort zu einem der wichtigsten Beamten.

Nach dem Zusammenbruch des Königreiches Westphalen und der Rückkehr des Kurfürsten wurde Friedrich aller Ämter enthoben und unter polizeiliche Aufsicht gestellt, was ihn zur Übersiedlung nach Frankfurt bewegte. Sein Bruder Karl arbeitete noch bis 1816 wieder als Archivar in der Oberrentkammer. Nach der Verhaftung und dem für ihn rufschädigenden Verhalten seines Bruders in Frankfurt schied er 1816 resigniert aus dem kurhessischem Staatsdienst aus, lebte einige Jahre wie der Bruder in Frankfurt, wurde aber nach dessen Verhaftung abgeschoben und verbrachte die weiteren Lebensjahre seit 1824 in Kassel.

Friedrich war in Frankfurt Herausgeber der "Europäischen Zeitung" und arbeitete als Redakteur und Korrespondent für weitere Zeitungen, beleuchtete das Zeitgeschehen sehr kritisch. Diese Tätigkeit und auch seine Verbindung zu einem polizeilich gesuchten Burschenschaftler brachten ihm über viele Jahre hinweg Verhaftungen, zeitweise Haft und ein Publikationsverbot ein, wovon ihn erst die Julirevolution 1830 befreite. In der Zeit danach verfasste er seine Hauptwerke über den Rechts- und Verfassungsstaat, in denen er sich staatstheoretisch mit Fragen der Volkssouveränität, des Widerstandsrechtes, der Gesetzesinitiative oder der Auslegung der Hessischen Verfassung befasste. Aufgrund dieser Werke wurde Friedrich 1844 im Alter von 65 Jahren nochmals verhaftet. Das Verfahren, in dem er ursprünglich zu einer mehrmonatigen Haft verurteilt wurde, beendete erst eine Amnestie im Gefolge der Revolution von 1848.

Der künstlerisch interessierte und sprachenkundige Karl Murhard entfaltete in diesen Jahrzehnten eine breite Tätigkeit als Übersetzer und Rezensent sowie als Autor nationalökonomischer, finanz- und steuertheoretischer Schriften, in denen er dem Liberalismus verpflichtet blieb, insbesondere den Lehren von Adam Smith, die er aber auch ansatzweise überwand.

Die Murhards blieben Junggesellen. Sie konnten sich aufgrund ihres Vermögens ein komfortables Leben leisten und reisten viel. In ihrer Geburtsstadt Kassel hatten sie zwei Wohnungen, eine Stadtwohnung am Königsplatz und ein Gartenhaus in der Wilhelmshöher Allee. Friedrich starb dort am 29. November 1853 und sein Bruder Karl am 8. Februar 1863.

Schon 1845 hatten die Brüder ihren gesamten Nachlass für die Stadt Kassel bestimmt. Das Erbe ging als Stiftung in das Eigentum der Stadt Kassel über. Der Hauptgegenstand des Testaments war die Gründung einer wissenschaftlichen Stadtbibliothek, in die das Vermögen der Brüder und ihre eigene, umfangreiche Bibliothek eingingen. Die Brüder verfügten, dass die Bibliothek ihren Namen zu führen habe, was noch heute der Fall ist mit der Murhardschen Bibliothek, die inzwischen mit der Bibliothek der Gesamthochschule-Universität Kassel verbunden ist.

Die beiden Brüder gehören mit ihrer wissenschaftlich-publizistischen Arbeit zu den geistigen Wegbereitern des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus in Deutschland. Ihr Wirken in Kassel umspannte die Zeit von der Aufklärung bis zum Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts. Ihr materielles Vermächtnis an ihre Vaterstadt lebt in der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel fort, ihr geistiges Vermächtnis ist wahrscheinlich weniger bekannt. Eine Ausstellung des Stadtmuseums erinnerte daran.

 

Entnommen aus:

Wolfgang Matthäus (Hg.), Vom Hohenzollernviertel zum Vorderen Westen. Straßennamen, Geschichte und “Geschichtspolitik”, Kassel 2005 (Schriften der WERKSTATT GESCHICHTE an der Albert-Schweitzer-Schule Kassel, Heft 5)