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1. Mai: „Feiertag der nationalen Arbeit“

 

Die Nationalsozialisten hatten in der Arbeiterschaft weit weniger Zuspruch als in den bürgerlichen Mittelschichten. Eines ihrer vorrangigen Ziele war deshalb die Zerschlagung der Gewerkschaften als Interessenvertretung und Gegenmacht der Arbeiter, von denen viele sozialdemokratisch oder kommunistisch orientiert waren. In demagogischer Absicht erklärten die Nationalsozialisten mit dem Gesetz vom 10. April 1933 den 1. Mai – seit 1890 international „Weltfeiertag der Proletarier aller Länder“ - zum bezahlten „Feiertag der nationalen Arbeit“, was von der Führung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) begrüßt wurde, die einen Kurs der Kooperation mit dem Regime verfolgte, um das Überleben als Organisation zu sichern.

Die Nazis versuchten, den Anschein einer friedlichen und gleichberechtigten Einbindung der Arbeiterschaft in den Staat zu erwecken. Was wirklich beabsichtigt war, vertraute Josef Goebbels am 17. April 1933 in seinem Tagebuch an:

„Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier keine Rücksicht kennen. Wir tun dem Arbeiter nur einen Dienst, wenn wir ihn von der parasitären Führung befreien, die ihm bisher das Leben sauer gemacht hat. Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können. (…) Ein Zurück gibt es nicht mehr. Man muss den Dingen nur ihren Lauf lassen.“

 

Der neue Feiertag in Kassel

Der neue Feiertag wurde am 1. Mai 1933 unter großem Pomp auch in Kassel inszeniert. Das Militär paradierte, Betriebe und andere Einrichtungen marschierten auf, eine riesige Menschenmenge versammelte sich auf dem Friedrichsplatz. Mit dem ursprünglichen Tag der Arbeit hatte das nichts mehr zu tun.

Am Beispiel der Zentralverwaltung von Wintershall in der Hohenzollernstraße 137 ½ - 139  ½) (Friedrich-Ebert-Straße) wird deutlich, wie ein Unternehmen sich dem Regime unterstellte. In der Studie zu Wintershall „Expansion um jeden Preis"(3) heißt es dazu:

„In Kassel trafen sich die ‚Angehörigen der Zentralverwaltung vor dem festlich geschmückten Hauptgebäude‘, woraufhin unter dem Geläut der Kasseler Kirchglocken am Gebäude die Hakenkreuzflagge sowie die Schwarzweißrote gehisst wurden. Nach einer kurzen Ansprache des Vorsitzenden der bei der Wintershall-Zentralverwaltung neugegründeten NSBO [Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation], Bergassessor Karl Liesergang, marschierte die Belegschaft hinter einer Bergmannskapelle zum Friedrichsplatz. Am nachfolgenden Festumzug nahmen ein Wagen des Kalisyndikats sowie ein mit Hakenkreuz- und schwarzweißroter Flagge geschmückter LKW samt Aufschrift ‚Wir arbeiten für Deutschlands Ernährungsfreiheit‘ teil, der im Sinne der Eigen-PR auch ein ‚schönes und anschauliches Bild unserer Industrie im Wirtschaftsleben unserer engeren Heimat‘ abgegeben haben soll.“

Nachdem bereits im März das Gewerkschaftshaus in der Spohrstraße gestürmt worden war und bereits seit dem Beginn der NS-Herrschaft zahlreiche Gewerkschafter verhaften worden waren, bedeutete die erneute Besetzung des Gewerkschaftshauses am 2. Mai, einen Tag nach der Inszenierung des „Feiertags der nationalen Arbeit“, das Ende einer freien Interessenvertretung der Arbeiterschaft auch in Kassel.

Den Festumzug im Jahr 1934 durch die Hohenzollernstraße (Friedrich-Ebert-Straße) hat der Fotograf Carl Eberth in zahlreichen Fotos festgehalten, von denen hier einige wiedergegeben werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Tag bereits vollkommen seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt. Mit der

Bezeichnung "Nationaler Feiertag des deutschen Volkes" fehlte nun jeglicher Bezug zur Arbeit. Mit der Umbenennung beriefen sich die Nationalsozialisten auf uraltes, vorgeblich germanisches Brauchtum. Der 1. Mai galt ihnen als "den ewigen Lebenskreislauf bejahender" Festtag zum Frühlingsbeginn.

Literatur:

(1) Deutsches Historisches Museum (Lebendiges Museum online):
Der 1. Mai - "Tag der nationalen Arbeit"

(2) Wikipedia:
Tag der nationalen Arbeit

(3) Manfred Grieger / Rainer Karlsch / Ingo Köhler im Societäts-Verlag, Frankfurt/Main, 2020:
"Expansion um jeden Preis. Studien zur Wintershall AG zwischen Krieg und Krise 1929-1945"