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Die Hausbesetzung in der Breitscheidstraße 7

Das auf einem spitzwinkligen Grundstück stehende, besonders markante Eckhaus zur Dörnbergstraße steht unter Denkmalschutz. Seit 1908 behrbergte es im Erdgeschoss jahrzehntelang eine Gaststätte. Im Krieg teilzerstört, wurde das Haus 1948 wieder aufgebaut. Die Fassade an der Breitscheidstraße zeigt mit dem roten Klinker und den gotisierenden Elementen die ursprüngliche Gestaltung.

1978 wurde das Gebäude mit seinen 1400 qm Wohnfläche zum Spekulationsobjekt und blieb es etwa ein Jahrzehnt lang. Entmietung und die Vertreibung von Mietern mit mitunter mehr als zweifelhaften Mitteln wie zum Beispiel dem Zumauern einer Wohnungstür führten schließlich im Sommer 1987 zum (bis auf die Gaststätte) völligen Leerstand des Hauses. Im Juli 1988 machten eine Demonstration und auch Transparente an seiner Fassade angesichts der zunehmenden Wohnungsnot in der Stadt auf den bereits lang andauernden Leerstand aufmerksam: „Wohnraum wird zerstört – Die Stadt schläft“ hieß es unter anderem an die Adresse der Stadtverwaltung und Politik gerichtet. Von dieser Seite wurde solche Kritik zurückgewiesen. Zahlreiche, zum Teil undurchsichtige Eigentümerwechsel und fehlende gesetzliche Möglichkeiten hätten ein Handeln immer wieder ins Leere laufen lassen oder unmöglich gemacht.

Am 25. Juli 1988 besetzten Männer und Frauen das inzwischen unter Zwangsverwaltung stehende Haus. Sie forderten die Stadt Kassel auf, das Gebäude zu erwerben und es über Nutzungsverträge den Besetzern zur langfristigen Gestaltung zu überlassen. Das Haus biete die Möglichkeit, größere Gruppen- und Lebenszusammenhänge umzusetzen, alternative Wohnformen zu leben – eine Möglichkeit, die es angesichts steigender Mieten oder der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder Büros kaum noch gebe. Vor allem der Vordere Westen sei im Begriff, zum „Schickeria-Viertel“ umgewandelt zu werden. Die Rathausfraktion der Grünen bezeichnete wenige Tage später die Besetzung als  berechtigte Selbsthilfeaktion, um Wohnraum vor der Zerstörung durch Spekulation zu schützen. Zu diesem Zeitpunkt war das Haus bereits geräumt worden.

Knapp vier Tage nach der Besetzung, am 28. Juli, erschien am frühen Morgen um 5 Uhr ein Großaufgebot von Schutz-, Kriminal- und Bereitschaftspolizei vor dem inzwischen verbarrikadierten Gebäude, in dessen Hinterhof an die Wand gesprüht war: „Hier kommt kein Bulle rein.“  Motorsägen und Äxte verschafften dessen ungeachtet den Zugang und nach etwa einer halben Stunde nahm die Polizei im vierten Stockwerk elf Männer und sechs Frauen fest, die keinen Widerstand leisteten. Steine für Zwillen, Farbbeutel und Molotowcocktails, die die Polizisten im Haus gefunden hatten, waren nach Angaben der Besetzer als Verteidigung gegen einen möglichen Angriff von Neonazis gedacht. Polizeipräsident Ahlborn konnte feststellen, dass sich die Räumung friedlich vollzogen habe.

Die vom Polizeipräsidenten (SPD) begründete und gerechtfertigte Aktion war allerdings unmittelbar von der CDU-Landesregierung angeordnet worden, was in den Tagen danach zu einer heftigen politischen Kontroverse führte. Der Standpunkt der Landesregierung war es, keine Hausbesetzungen mehr zu dulden, nicht zu verhandeln, sondern zu räumen. Demgegenüber setzte die SPD „auf Verhandlungen und gewaltfreie Lösungen, die bei den wenigen Hausbesetzungen in Kassel bisher stets zum Erfolg geführt“ hätten, wie es in einem Leserbrief Bertram Hilgens hieß. Die Kassler Grünen und ihre Landtagsfraktion bezeichneten die Räumung als ein „Armutszeugnis für die Wohnpolitik der CDU/FDP-Landesregierung.“