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Bertha Adler

Meysenbugstraße 3

Bertha Adler stammte aus Niedenstein, wo sie am 28. August 1871 als eines von sechs Kindern des Großviehhändlers Moses Adler und seiner Frau Sara, geb. Stern geboren wurde, von denen drei taubstumm waren. Zu dieser Zeit gehörte die kurhessische Kleinstadt mit allerdings weit weniger als 1.000 Einwohnern zu denen mit der relativ größten jüdischen Gemeinde in Hessen. Zeitweise mehr als jeder fünfte Niedensteiner gehörte ihr an. Mit einer Aussteuer von 12.000 Mark ausgestattet, heiratete Bertha Adler 1894 in Kassel den aus Gudensberg stammenden Nathan Adler. Die Familie mit den vier Töchtern Hedwig (1895), Martha (1896), Margarethe (1897) und Margot (1899) wohnte lange Zeit in der Jägerstraße und lebte vom Zigarrengroßhandel, den Nathan Adler dort betrieb. Nachdem dieser in den Ruhestand gegangen war, bezogen Bertha und Nathan Adler im September 1932 eine 4-Zimmerwohnung in der Meysenbugstraße 3 im Kasseler Vorderen Westen.

Dort starb Bertha Adlers Mann 1936. Aus der angestammten Wohnung ausgewiesen, zog die Witwe im April 1939 in die Prinzenstraße 14 (heute Pestalozzistraße) ein – mit aller Wahrscheinlichkeit bei Jeanette Spangenthal. Ihre Tochter Hedwig sollte am Ende des Jahres 1941 oder 1942 deren Sohn Leopold heiraten. Die Wohnung in der Prinzenstraße war im Visier von Zollfahndung und Gestapo, die 1941 dort eine Durchsuchung vornahmen, an deren Ende ein Devisenstrafverfahren für Jeanette Spangenthal und Bertha Adler stand. Bertha Adler hatte Geldgeschenke ihrer Tochter Hedwig angenommen und bar behalten. Hedwig war bereits nach Berlin umgezogen und lebte noch in Deutschland, während den Töchtern Martha und Margot sowie dem Mann und Kind ihrer 1936 verstorbenen Tochter Margarethe die Emigration in die Vereinigten Staaten gelungen war.

Bertha Adler erhielt am 8. Mai 1941 eine Vorladung auf die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten in der Kaiserstraße 31 (Goethestraße), nachdem die Zollfahndung in Zusammenarbeit mit der Gestapo ihre und Jeanette Spangenthals Wohnung durchsucht und dabei insgesamt 290,-- RM in bar gefunden hatte. Ihr wurde ein Verstoß gegen Devisenbestimmungen und die „Sicherungsanordnung“ vorgeworfen. Mit der Verfügung einer solchen Anordnung, deren Bestimmungen und damit Konsequenzen im Einzelnen für die Betroffenen im Laufe der Zeit verändert wurden, konnten Juden nicht mehr frei über ihre davon betroffenen Konten auf Banken und damit einen wesentlichen Teil ihrer finanziellen Mittel verfügen. Sie waren jetzt auf einem Sperrkonto, alle Transaktionen über einen Freibetrag hinaus, der dem Lebensunterhalt diente, waren von der Devisenstelle beim Landesfinanzamt (später Oberfinanzdirektion) zu genehmigen, Einnahmen waren auf das Sperrkonto zu überweisen, so auch das Geld, das Bertha Adler von ihrer Tochter erhalten hatte. Schließlich musste sich Bertha Adler vorwerfen lassen, in ihrer Wohnung deutsche und ungarische Pfandbriefe vom Ende des 19. Jahrhunderts im Wert von insgesamt 100,-- RM aufbewahrt zu haben, die praktisch wertlos waren. Der Ermittlungsbericht der Devisenstelle unterstellte in diesem Zusammenhang: „Die Beschuldigte will in nächster Zeit auswandern und  hat offensichtlich die Absicht gehabt, die deutschen und ungarischen Wertpapiere zwischen ihrem Umzugsgut mit ins Ausland zu nehmen.“

Die Finanzbehörde bot als abschließende Ahndung unter Verzicht auf ein strafrechtliches Verfahren eine „Unterwerfungsverhandlung“ an, was ein vollständiges Geständnis und den Verzicht auf die Einlegung von Rechtsmitteln bedeutete. Um Schlimmeres zur verhüten, blieb Bertha Adler in der Situation, in der sie war, keine andere Möglichkeit, als ein umfassendes „freiwilliges“ Geständnis einzulegen und auf Rechtsmittel zu verzichten. Am Ende der „Verhandlung“  unterschrieb sie eine Strafe, die in das Strafregister eingetragen wurde. Sie war damit vorbestraft, ohne dass ein Richter beteiligt gewesen wäre.

Bertha Adler kam zusammen mit Jeanette Spangenthal im September 1941 aus der Prinzenstraße 14 in die Admiral-Scheer-Straße 13 (Goethestraße). Die Hoffnung auf Auswanderung hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verloren, wie aus einem Brief an ihre Tochter hervorgeht. Bertha Adler blieb nicht lange in diesem Haus. Ihr nächster Zwangsumzug führte Ende Januar 1942 in das Altersheim in der Großen Rosenstraße 22 und von dort am 7. September 1942 nach Theresienstadt. Im Zimmer II in der Großen Rosenstraße lebte sie zusammen mit fünf anderen Frauen. Als Karl und Richard Krell, „Mitglied der Fachgruppe Versteigerer und Reichskammer der bildenden Künste“, nach deren Deportation nach Theresienstadt im September 1942 den übrig gebliebenen Hausrat von sechs Frauen in diesem Zimmer schätzten, bestand dieser nur noch aus Koffern und Wäsche:

3 HandkofferRM  7,--
1 ReisekofferRM 15,--
1 kl. WanduhrRM  4,--
div. alte Wäsche,
Kleider, Strümpfe
usw.
RM 55,--
SummeRM 81,--

Bertha Adler wurde bereits am 29. September 1942 mit dem Transport Bs-1146 zusammen mit 2000 Menschen, von denen niemand überlebte, von Theresienstadt in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Ihre Tochter Hedwig und deren Mann Leopold Spangenthal verschleppte man am 17. März 1943 von Berlin aus gleichfalls nach Theresienstadt und von dort am 6. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie noch am gleichen Tag mit etwa 1.400 Menschen ihres Transports ermordet wurden.

Literatur

Wolfgang Matthäus, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben und seiner Zerstörung im Vorderen Westen, in Kassel und der Region, Kassel 2014

Ausführlicher auf der Webseite von Stolpersteine in Kassel e. V.
https://www.kassel-stolper.com/biografien/bertha-adler/