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Johanna, Levi und Arthur Katz – Anna Katz

Querallee 36 – Pestalozzistraße 10 (früher Prinzenstraße)

Die Familie Katz war schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in dem Kleinstädtchen Züschen bei Fritzlar ansässig. Levi Katz, Ehemann von Johanna, und Daniel Katz, Ehemann von Anna, gehörten bereits der sechsten Generation ihrer Familie an.

Daniel und Levi gründeten 1898 in Kassel die Kleiderfabrik S. Katz & Söhne GmbH, die seit 1900 in der Gießbergstraße 1 Berufsbekleidung und Kleidung für andere Zwecke in einer eigenen Produktionsstätte, aber auch auf der Basis von Heimarbeit produzierte. Das Haus hatten die Brüder im Jahr 1900 erworben, die Kleiderfabrik gliederten sie dem bestehenden Unternehmen Gebr. Katz an. Noch vor 1910 wurde der jüngste Bruder Abraham Teilhaber, der bereits als Prokurist für die Firma tätig war. Die umfangreiche Produktpalette der „Casseler Hemden- und Kleiderfabrik“, wie sie sich zeitweise nannte, zeigt ein im Stadtmuseum Kassel erhaltener 64-seitiger Katalog aus dem Jahr 1912 auf. Es finden sich hier Angebote für zahlreiche Berufsgruppen ebenso wie für Kinder, Damen und Herren für fast alle Anlässe und Jahreszeiten.

In den 1920er Jahren arbeiteten für den Betrieb neben den Familienangehörigen in leitenden Funktionen mindestens etwa 120 gewerbliche Arbeitnehmer/innen, etwa zehn Heimarbeiterinnen, kaufmännisches Personal, zwei Kraftfahrer und zwei Handelsreisende. Das Unternehmen verfügte über einen Lieferwagen und drei PKW. Auf dem der Firma gehörenden Betriebsgelände in der Gießbergstraße 1 und 1a gab es Büroräume, Lager- und Versandräume sowie Produktionsräume: u. a. einen Raum für die Handnäherei sowie Nähsäle mit Schnellnähmaschinen und amerikanischen Spezialmaschinen – z. B. für Knopflöcher, zudem eine ganze Reihe von Wohnungen, die Mieteinnahmen garantierten.

Offenbar erlitt die Firma in der Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre Gewinneinbußen, was mit der Etablierung der NS-Herrschaft 1933 noch verschärft wurde. Familienmitglieder gerieten in das Visier der Nazis, die Firma litt unter Boykottmaßnahmen, u. a. auf der Grundlage des Vorwurfs, sie habe kommunistische Uniformen hergestellt. Daniel Katz und Levis Sohn Arthur wurden zeitweise festgenommen. Die SS verbot Familienmitgliedern auch das Betreten des Unternehmens. Der Druck auf die Familie und das Unternehmen führte zu dessen Verkauf und schließlich 1939 zu seiner Liquidation.

Der 1861 in Züschen geborene Levi Katz hatte (wahrscheinlich 1891) die 1867 in Gießen geborene Johanna Rosenthal geheiratet. Der Sohn Ludwig Arthur wurde 1894 geboren, die Tochter Clara Margarethe 1902.  Dieser sollte es 1939 gelingen, mit ihrem Mann in die USA auszuwandern. Ihr Vater Levi hatte nur wenige Wochen nach dem Beginn der NS-Diktatur und damit der Entfesselung des Antisemitismus seinem Leben ein Ende gesetzt. Am 13. Mai 1933 wurde der „lebenslustige und gesellige“ Ehemann und Familienvater im Asch im Bergpark Wilhelmshöhe tot aufgefunden,  nachdem er zuletzt am Tage zuvor lebend gesehen worden war. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie in der Querallee 36, dem Eckhaus zur Goethestraße. Johanna und Arthur Katz wurden nach Zwangsumzügen in die Annastraße (1934) und Jordanstraße (1936) im Februar 1939 in das “Judenhaus“ Kaiserstraße 73 eingewiesen (siehe Biografie von Bertha Katz), danach in das „Judenhaus“  Kirchweg 72. Ihres Vermögens durch verschiedene staatliche Maßnahmen des „legalisierten Raubs“ verlustig, wurden sie gezwungen, am 9. Dezember 1941 zusammen mit mehr als 1000 Menschen aus der Region den Zug nach Riga zu besteigen, dessen Ziel das dortige Ghetto war. Hier kamen beide ums Leben.

Die am 9. September 1878 geborene Anna Feiss stammte aus Mußbach bei Neustadt an der Weinstraße. Sie heiratete am 22. März 1900 den 1866 in Züschen bei Fritzlar geborenen Daniel Katz. Annas und Daniels Sohn Walter kam am 1. Januar 1901 zur Welt, die Tochter Lieselotte wurde am 25. Mai 1904 geboren.

Sie war die erste der Familien Katz, die auswanderte. Wahrscheinlich stand sie dem Zionismus nahe, denn sie lebte bereits seit 1928 – also noch vor der nationalsozialistischen Herrschaft - in Palästina, die meiste Zeit in Tel Aviv, wo sie als Sozialarbeiterin tätig war und ledig blieb. Über ihr Todesdatum machen Familienmitglieder unterschiedliche Angaben. Sie wurde fast hundert Jahre alt oder sogar noch ein paar Jahre älter.

Walter Katz besuchte bis 1919 das Friedrichsgymnasium. Nach dem Abitur und erfolgreichem Studium der Rechtswissenschaften legte er 1924 die Referendarprüfung am OLG Kassel ab und wurde im gleichen Jahr in Frankfurt promoviert, um als Syndikus in das Familienunternehmen einzutreten. Bei seiner Verheiratung im Jahr 1931 mit Liselotte Plaut erhielt Walter Katz von seinem Vater Daniel ein Viertel seiner Aktien und war als dessen Nachfolger in der Geschäftsführung vorgesehen. Dazu sollte es nicht mehr kommen. Angesichts der Situation in Kassel, zu der gehörte, dass die Nazis im Rahmen ihrer „Machtergreifung“ in der Stadt Terror gegen Juden und politisch Missliebige ausübten, entschloss sich Walter Katz „kurzerhand zur Auswanderung“, wie er nach dem Krieg schrieb. Am 31. März 1933 fuhr er mit seiner Frau mit einem Touristenvisum über Neapel nach Haifa. Die 1932 geborenen Zwillingssöhne Amitai und Gideon, die zunächst in Kassel geblieben waren, holte ihr Mutter wenig später zusammen mit der Kinderpflegerin Ilse Katz auch dorthin. Als sein Vater Daniel im April 1936 gestorben war, kehrte er zur Beerdigung noch einmal nach Kassel zurück.

Seine Eltern hatten 1935 die angestammte, „herrschaftliche Wohnung“ in der Jordanstraße aufgeben müssen und waren in eine kleine Wohnung in der Prinzenstraße 10 gezogen, wobei sie gezwungen waren, einen großen Teil ihrer Wohnungseinrichtung zu Schleuderpreisen zu veräußern. Ihre intensiven Bemühungen um Auswanderung waren bis zum Tod von Daniel Katz erfolglos geblieben. Walter Katz überzeugte nun seine Mutter, zu ihm nach Palästina zu kommen, und Anna reiste mit einem Touristenvisum dorthin, blieb ein paar Monate, konnte sich dort aber nicht "anpassen", wie ihre Enkelin schreibt, und kehrte wieder nach Kassel zurück. Zur endgültigen Auswanderung kam es nicht. Wie ihr Schwager Levi bereits 1933 beging sie fast genau ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes aus Verzweiflung über die ihr ausweglos erscheinende Lage am 22. April 1937 Suizid. Sie erhängte sich in ihrer Wohnung. Die letzten von ihr geschriebenen Zeilen sind in Abschrift im Hessischen Hauptstaatsarchiv erhalten:

Abschiedsbrief von Anna Katz
(Abschrift in Maschinenschrift, HHStAW 519 3-36486)

„Mein letzter Wille!

Helft meinen armen Kindern, meine Tochter Lieselott soll 2/3 und Walter 1/3 des Vermögens erhalten und ihren Transfer. Da sind schon 8000.- RM auf der Reichsbank deponiert. Ich kann nicht mehr weiterleben, das Los als Jude ist ja fürchterlich. Man hat mir meine hinterlegten 20 000.- RM nicht wieder freigegeben. Ich habe doch nichts verbrochen. Liebste Kinder halten zusammen.
Ich flehe Dr. Kugelmann an, alles für mich zu regeln, er hat mir immer so mit Rat und Tat beigestanden.
[Die Rechtsanwälte Dr. Kugelmann und Dr. Kaufmann vertraten die Interessen der Familie -WM.]
Ihr liebe Kinder müsst alles bei ihm gutmachen. Ich fürchte nicht auszukommen ich habe keinen Anteil mehr am Geschäft, stehe meinen Kindern bei l. Ab [wahrscheinlich: „lieber Abraham“ Katz, der noch in Kassel lebende Schwager von Anna -WM], und sorge, dass sie alles erhalten. Auf der Centralkrankenkasse sind noch Rechnungen, die erledigt sein müssen. Hier in der Wohnung gehören mir folgende Gegenstände, Waschbecken, Bidet (?) alle an der Wand befestigten Gegenstände in der Badestube, Linoleum-Korridor, Gasherd, Gosse mit Verkleidung, sämtliche Börde in der Speisekammer. Georg und Grete haben so rührend für mich gesorgt, alle wollten mir helfen. Begrabt mich neben meinem guten Mann. Der Stein soll in d. Mitte gesetzt werden, das genügt nur noch mit Namen.
Helft meinen Kindern und Enkeln, aber ich kann nicht mehr weiter. Verzeiht mir liebe Kinder
Eure Mutter

Ich bitte Sie l. Kugelmann nochmal helfen Sie meinen Kindern. Meinen Nachlass soll Lieselott haben, da sie noch keine Aussteuer haben ebenso meinen Schmuck.“

Ausführlicher auf der Webseite von Stolpersteine in Kassel e. V. zu