Hilda, Karl, Paul und René Mondschein
Wilhelmshöher Allee 40
Die Familie Mondschein wohnte seit Anfang 1919 in der Wilhelmshöher Allee 40. Karl Mondschein war später und bis 1938 der Eigentümer des Hauses, in dem 1939 u. a. auch der jüdische Lehrer Walter Bacher und der Likörfabrikant Carl Cramer mit seiner Familie wohnten. Als Hausbesitzer nennt das Adressbuch 1939 den Fabrikanten Franz Beck (Herkulesstraße 13). Im Haus Wilhelmshöher Allee 40 waren Chr. Beck & Söhne (Feinmechanik und Optik) sowie die Buchdruckerei Köhler& Müller ansässig.
Der 1878 geborene Karl Mondschein hatte in Kassel ein Gymnasium besucht, anschließend eine kaufmännische Ausbildung absolviert und bis zum Ersten Weltkrieg in Brüssel ein Import- und Exportgeschäft betrieben. Von 1914-1918 war er Soldat, nach einer Verwundung zuletzt als Dolmetscher im Kriegsgefangenenlager Niederzwehren.
Hilda Mondschein und Karl Mondschein waren jeweils in zweiter Ehe verheiratet. Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns, der ein Bruder von Karl war, und nach der Scheidung Karls von seiner Frau Charlotte (1919) heirateten sie 1927. Der 1915 geborene Paul M. stammte aus der ersten Ehe von Hilda, René, 1912 in Brüssel geboren, aus der ersten Ehe von Karl. Es gab noch einen Sohn Ernst, der nach 1945 von Australien aus Entschädigungsanträge stellte, offenkundig auch noch eine Tochter aus Hildas erster Ehe.
Hilda Mondschein, die 1881 in Schwarzenborn geboren war, erkundete offenbar Auswanderungsmöglichkeiten. Nach ihren eigenen Angaben war sie vom November 1935 bis zum März 1936 auf „Orientierungsreise“ nach Palästina. Sie wurde am 9. Dezember 1941 nach Riga deportiert und gilt seitdem als verschollen.
Zu diesem Zeitpunkt war ihr Mann Häftling im Konzentrationslager Buchenwald. Für Karl Mondschein war dies nicht die erste Haft. Er wurde bereits am 13. Februar 1937 inhaftiert, zunächst im Konzentrationslager Dachau und vom 19. September 1938 bis zum 26. August 1939 in Buchenwald gefangen gehalten. Zu den ersten KZ-Einsperrungen von Karl Mondschein liegen offenbar keine genauen Angaben über Begründungen vor. In Buchenwald wurde er einmal als „jüdischer Emigrant“, dann als „politischer Jude“ geführt. Eine erneute Verhaftung erfolgte am 2. September 1940. Wiederum deportierte man ihn zunächst nach Dachau, von wo aus er am 12. Juli 1941 zusammen mit weiteren polnischen und jüdischen Häftlingen, deren körperlicher Zustand schlecht war, erneut nach Buchenwald überstellt wurde. Zu dieser Zeit begannen Morde im Rahmen der Aktion „14 f 13“, die sich gegen Juden, Kranke und Behinderte richtete und die Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in den Konzentrationslagern fortsetzte. Am 12. März 1942 wurde Karl Mondschein im Rahmen von vier Transporten mit insgesamt fast 400 jüdischen Häftlingen in die Tötungsanstalt Bernburg an der Saale deportiert und dort in der Gaskammer noch am gleichen Tag ermordet.
Paul Mondschein machte 1934 am Realgymnasium I das Abitur und ging danach nach Hamburg, um sich kaufmännisch ausbilden zu lassen. Im November und Dezember 1938 war er zum ersten Mal im Konzentrationslager Buchenwald im Rahmen der „Novemberaktion“ inhaftiert. 1938/39 bemühte er sich offenbar um eine Auswanderung nach Palästina und war als „landwirtschaftlicher Praktikant“ auf Gut Winkel bei Spreenhagen in Brandenburg tätig, einer zionistisch geprägten Lehr- und Förderstätte für jüdische Landarbeit, die seit 1934 den Status einer anerkannten Hachscharahstätte hatte. Paul Mondschein wurde am 28. März 1939 erneut nach Buchenwald deportiert und dort am 6. November des gleichen Jahres erschossen.
René Mondschein wurde wie sein Bruder 1938 Opfer der „Novemberaktion“ und bis Anfang 1939 in Buchenwald inhaftiert. Er näherte sich gleichfalls dem Zionismus an und ging im Juli 1939 nach Paderborn in das jüdische Umschichtungs- und Einsatzlager am Grünen Weg. Von dort machte er sich zusammen mit vier Kameraden über Berlin auf zur illegalen Einwanderung nach Palästina. Offenbar kam die Gruppe wie eine ganze Reihe von Flüchtlingen aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei auf der Flucht in Jugoslawien nicht weiter. Dort griffen im Gefolge des serbischen Aufstandes vom Juli 1941 Wehrmacht, SS und SD zu äußerst brutalen Vergeltungsaktionen, die sich auch auf Juden erstreckte und als deren Folge bis zum Dezember 1941 fast alle jüdischen Männer ermordet wurden. René Mondschein starb im Oktober 1941 im Konzentrationslager Zasavica, wo es zu zahlreichen Morden an Juden kam.
Wolfgang Matthäus