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Stadtteilkonferenz am 30. September 2023: Bäume im Stadtteil

"Bäume im Stadtteil -- Klima, Stadtbild, Atmosphäre: was ist zu tun?" Eine Veranstaltung des Kassel-West e.V. im Saal der Kirche im Hof

Zu diesem Thema gab es fünf Referate.

  • Dr. Florian Bellin-Harder (UNI Kassel) sprach über Kleinklima, Freiraum und die Vegetation am Boden. Er nannte konkrete Maßnahmen, mit denen die Potenziale im Stadtteil genutzt werden können.
  • Markus Funke (Straßenverkehrs- und Tiefbauamt) hatte sich wegen Krankheit entschuldigt; sein Referat: Bäume im öffentlichen Verkehrsraum: Wie sieht der Bestand aus? - Was ist im Bestand möglich? - Welche Knackpunkte gibt es (zu lösen)? - Was ist zukünftig möglich? wurde von Hans-Helmut Nolte vorgestellt. 
  • Volker Lange (Umwelt- und Gartenamt) erläuterte die Probleme, vor die Stadtbäume durch Klimawandel, Krankheiten und schlechte Standortbedingungen gestellt werden - und auch, wie man diesen Problemen begegnen könnte.
  • Hans-Helmut Nolte (West e.V.) thematisierte Klima, Straßenbild, Platz im Straßenraum und Kosten.
  • Lennart Strauß (Arbor revital) erläuterte die künftigen Anforderungen an Baumstandorte, zeigte einige gute Beispiele und gab Hinweise für konkrete Maßnahmen im Stadtteil.

Die Veranstalter hätten sich mehr Teilnehmende gewünscht. Ihrer Einladung folgten leider nur ca. 40 Interessierte. Dafür brachte am darauffolgenden Montag die HNA einen großen Bericht über die Veranstaltung. Denn das Thema scheint ernst und wichtig zu sein. Jedenfalls gab es nach den Referaten eine engagierte Diskussion, bei der auch sehr konkrete Forderungen laut wurden. Bürgerschaftliches Engagement für Bäume im Stadtteil wurde allgemein als dringend nötig gesehen.     

Mit ihrer Themenvielfalt behandelten die Referate viele unterschiedliche Einzelaspekte, kamen nach ihren Problemanalysen aber zu gemeinsamen Schlussfolgerungen:

  • Wir brauchen mehr Grün, mehr Bäume und bessere Baumstandorte.

Die folgende Darstellung fasst die Erkenntnisse und Empfehlungen der Referate zusammen.  

Die Ausgangslage

Der Vordere Westen hat mehr Straßenbäume als jeder andere Kasseler Stadtteil. Das ist ein wertvolles historisches Erbe. Straßenbäume waren ein Kernbestandteil von Aschrotts städtebaulicher Konzeption, und davon profitieren wir heute noch. Leider – und das ist oft erst auf den zweiten Blick zu sehen – geht es fast allen dieser Bäume nicht gut.

Da ist zunächst die allgemeine Problematik des Klimawandels, die sich in Erwärmung und temporärem Wassermangel ausdrückt, womit unsere Bäume -speziell in der Stadt- ganz schlecht zurechtkommen und dadurch auch anfälliger werden für Schädlinge und Krankheiten. Das bedeutet auch, dass einige traditionelle Baumarten wohl künftig nicht mehr gepflanzt werden können. Zum zweiten die konkrete Problematik vor Ort. Viele Baumstandorte bieten keine langfristige Entwicklungsmöglichkeiten für die Bäume. Der Hauptgrund ist Platzmangel: die zu kleinen offenen Baumscheiben, das zu geringe Wurzelraumvolumen. Dazu kommen die Beeinträchtigungen durch Baumaßnahmen und die Bedrängnis etwa durch parkende Autos.

Dazu kommt noch ein „unsichtbarer“ Faktor:  Bei Leitungsverlegungen muss ein Abstand von  2,50m zu bestehenden Bäumen eingehalten werden (Schutz der Wurzelbereiche). Dieser Abstand gilt auch, wenn Bäume neu gepflanzt werden sollen, und das hat zur Folge, dass in Straßen mit vielen Leitungen überhaupt keine Bäume gepflanzt werden.

Außerdem führt die Strategie der Innenentwicklung dazu, dass zwar die Außenbereiche geschont werden, aber innerstädtische Brach- und Grünflächen versiegelt bzw. bebaut werden. Dadurch steigt die Überwärmung in den Städten weiter, und auch die Bäume kommen stärker unter Druck.

Die Strategien

Um das Leben in den Städten auch künftig erträglich zu halten, sind übergreifende Strategien unverzichtbar.

  • Umgang mit dem Wasser
    Regen- bzw. Oberflächenwasser muss künftig großflächig offen versickern, in Pflanzflächen und Baumscheiben geleitet bzw. zur späteren Bewässerung gespeichert werden. Bei Neubauten oder Planungen in Straßen- und Freiräumen ist das zwingend zu beachten.
  • Entsiegelung und Begrünung
    Alle geeigneten Flächen im Stadtraum müssen möglichst großflächig bepflanzt bzw. versickerungsfähig gestaltet werden. Anstatt grüner Inseln sollte ein Flächenverbund entstehen, der neben der ökologischen Vernetzung auch die Wasserverteilung fördern würde.
    Einen wichtigen Beitrag dazu können offene Pflanzstreifen entlang der Hauswände leisten; hier gibt es schon einige Beispiele, aber auch noch ein großes Flächenpotenzial im Stadtteil.
  • Einsatz geeigneter Vegetation
    Künftig werden vermehrt hitzeresistente, nicht heimische Baumarten gepflanzt werden müssen. Voraussetzung ist, dass sie sich in das gewachsene Ökosystem einfügen, d.h. sie vertragen sich mit den heimischen Pflanzengesellschaften und bieten Lebensraum für Vögel, Insekten und Kleintiere.
    Großflächiger Zierrasen (Bebelplatz, Goetheanlage) ist extrem hitzeempfindlich und wird mit steigenden Temperaturen nicht mehr fertig. Flächige Begrünungen sollten daher künftig mit robusten und einander stützenden Pflanzengesellschaften gestaltet werden, die außerdem sehr attraktiv sein können.
  • Bestandspflege
    Das Mittel der Wahl zur Klimaanpassung von Städten sind nach vielen wissenschaftlichen Untersuchungen: Bäume. Daher ist neben Neupflanzungen die Bestandspflege eine Kernaufgabe. Dazu gehört vor allem die Optimierung aller Baumstandorte. Kurz gesagt: Bäume brauchen genug Platz, Luft, Wasser und Nährstoffe in durchwurzelbarem, strukturstabilerm und luftdurchlässigem Boden. Schädliche Einflüsse, hier besonders der Streusalz-Eintrag, müssen vermieden werden. Auch bei Nachpflanzungen sollten die Baumstandorte gleich so hergerichtet werden, dass der junge Baum eine langfristige Entwicklungsperspektive hat.
  • Kosten und Realisierbarkeit
    Die Neupflanzung von Straßenbäumen ist teuer. Weniger wegen der Pflanzen, aber der bauliche Aufwand für einen zukunftssicheren Baumstandort ist hoch. Daher werden neue Baumpflanzungen eher im Zusammenhang mit größeren Straßenbaumaßnahmen (Instandsetzungen, Leitungsverlegungen u. ä.) realisierbar sein. Hier sollten sie aber auch konsequent umgesetzt und demgemäß bei den Projektkosten berücksichtigt werden. Wir können aber sicher sein: Bäume werden auch im Bewusstsein der Stadtgesellschaft immer wichtiger werden, so dass es nur vernünftig ist, Baumpflanzungen in Straßen auch als Einzelmaßnahme vorzusehen und bei der Haushaltsplanung zu berücksichtigen.  

Mögliche Maßnahmen im Stadtteil

Diese Strategien lassen sich im Vorderen Westen an vielen Stellen konkret umsetzen.

 

Entsiegelung und Begrünung

Bestandspflege

Neupflanzungen

In allen dafür geeigneten Straßen sind durchgehende, regelmäßige Baumreihen zu pflanzen.

Wo Leitungen liegen, können i. a. keine neuen Bäume gepflanzt werden, denn der geforderte Abstand von 2,50 m kann in den Straßen des Vorderen Westens fast nirgends eingehalten werden. Wenn wir Bäume wollen, müssen also Kompromisse gefunden werden. Bei einer Unterschreitung des Mindestabstandes können Leitungen durch geeignete Maßnahmen gegen Durchwurzelung geschützt bzw. für Reparaturen zugänglich gehalten werden. Im Rahmen des Projektes „7.000 Eichen“ sind solche Maßnahmen schon umgesetzt worden und haben dadurch viele Baumpflanzungen überhaupt erst ermöglicht.

Gegen Bäume kann man nichts haben, sollte man meinen. Aber so wichtig Straßenbäume auch sind: sie konkurrieren mit anderen Nutzungen im Straßenraum. Und dabei ging es bisher fast immer um das Parken. Es ist klar: wo ein Baum steht, kann kein Auto stehen. Diese Diskussion muss geführt werden. Und man kann Möglichkeiten finden, den Verlust geringer zu halten als befürchtet…

Ausblick und konkrete Wünsche

Von entscheidender Bedeutung  ist, dass die Stadtgesellschaft Bäume zu ihrem Thema macht. Das ist in Ansätzen schon zu sehen, der Klimabeirat der Stadt Kassel leistet dazu wichtige Arbeit. Auch die Ämter der Stadtverwaltung stellen sich dieser Herausforderung, mit zum Teil deutlich weiterentwickeltem fachlichen Bewusstsein.  Die Stadtpolitik spricht von 10.000 neu zu pflanzenden Bäumen in Kassel. Es fehlen aber noch sowohl verbindliche Beschlüsse und Sicherstellung der Finanzierung, als auch realistische Umsetzungsstrategien, die sich auf Bestand und Neupflanzungen beziehen müssten. Im Vorderen Westen gibt es noch Straßenzüge, in denen Bäume gepflanzt werden können und auch gepflanzt werden sollten. So fehlen Baumreihen in einigen Straßen, in denen das historische Konzept Alleepflanzungen vorsah. Andere Straßen sind breit genug für Baumpflanzungen, ohne dass dadurch anderen Nutzungen Platz weggenommen wird. Großflächig versiegelte Kreuzungs- und Platzbereiche heizen sich im Sommer besonders stark auf. Hier können Neugestaltungen mit Begrünung und Baumpflanzungen sowohl das Straßenbild wie das lokale Stadtklima erheblich verbessern.

Auf der Stadtteilkonferenz war der Wunsch nach Baumpflanzungen in folgenden Straßen besonders groß: Friedrich-Ebert Straße (11 Stimmen), Kattenstraße (9), Aschrottstraße (8), Königstor (7), Breitscheidstraße (7), Dag-Hammarskjöld-Straße (7), Nebelthaustraße (7), Graf-Bernadotte Platz (6).    

Insgesamt könnten in den öffentlichen Straßenräumen des Vorderen Westens geschätzt noch rund 500 Bäume gepflanzt werden. Dafür muss allerdings die Nutzung in einigen Straßen neu gedacht werden, weil es dort weniger Parkplätze geben wird. Und auch für die Platzkonkurrenz zwischen Bäumen und Parkplätzen müssen Lösungen gefunden werden.

Perspektivisch wünschen wir uns, dass

  • für den Stadtteil ein klimagerechtes „Gesamtkonzept Entsiegelung und Begrünung“ entwickelt wird - zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern
  • für die Straßenräume im Denkmalensemble Vorderer Westen ein verbindliches Gestaltungskonzept (Materialien und Begrünungen) erarbeitet und umgesetzt wird  
  • bei jedem Straßenbauprojekt Bäume mitgedacht und auch gepflanzt werden….und dabei Bäume und Leitungen möglich gemacht werden
  • auch die neu gepflanzten Bäume große, Schatten spendende Kronen entwickeln können
  • die jährlichen Pflanzprogramme und das Baumkataster einsehbar sind
  • der städtische Haushalt jedes Jahr die Pflanzung von mindestens 2.000 Straßenbäumen verbindlich vorsieht - und davon möglichst viele im Vorderen Westen….

Hier ein konkreter Wunschzettel für unseren Stadtteil:

  1. Sorgfältige Pflege des wertvollen Baumbestandes
  2. Größtmögliche Verbesserung der Standortbedingungen für die Bäume
  3. Zeitnahe Ersatzpflanzungen für abgegangene Straßenbäume
  4. Hochwertige Gestaltung von Baumstreifen und Baumscheiben (z. B. in Verbindung mit dem historischen Mosaikpflaster)
  5. Neupflanzungen in allen dafür geeigneten Straßenräumen
  6. Entsiegelung und Bepflanzung auch größerer Straßen- und Platzflächen